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Charly & Kimi

 

Die ersten Tage im neuen zu Hause

Ein Laborbeagle zieht ein

 

Gleich am ersten Abend flüchtete Charly in eine Ecke hinter dem Sofa. Dort lag Maxis Kissen und da blieb er die nächsten zwei Monate.
Fast stubenrein war Charly vom ersten Tag an, zunächst sogar im Garten. Er stand so unter Stress, dass er fast zwei Tage brauchte bis er sich zum ersten Mal lösen konnte.
Menschen waren ihm nicht geheuer, das Haus auch nicht. Der Garten war ein Paradies für ihn. Er wollte nie zurück ins Haus, vor allem wollte er nicht durch die Tür.
Zurück im Haus lief er immer sofort in sein Versteck auf „sein“ Kissen.

Die ersten Wochen

Es gab nur einen Bewegungsablauf, von seiner Ecke zur Terrassentür, vom Garten zurück in seine Ecke. Kam man in die Nähe von seinem Kissen, sprang Charly sofort auf und versuchte sich irgendwo zu verstecken. Nach einigen Wochen konnte man immerhin schon zu ihm gehen, ohne dass er weglief.
Im Garten hatten wir einen völlig anderen Hund. ErCharly, Maxi, Stephanie, im Hintergrund Doria und Dubliner war fröhlich, ausgelassen, folgte uns auf Schritt und Tritt, sprang an uns hoch, kam um sich knuddeln zu lassen. Draußen war er Maxis ständiger Schatten. Eine Klette hätte nicht dichter an ihm kleben können als Charly. Er nahm nur die von Maxi angekauten Kauknochen, seine eigenen ließ er liegen.
Nur eines lernte er nicht von Maxi: durch die Terrassentür zu gehen. Wenn er im Garten war, mussten wir ihn wieder einfangen, freiwillig kam er auch nach Stunden nicht nach drinnen. Er kam immer wieder zur Tür gelaufen, aber nichts konnte ihn dazu bewegen, die Schwelle zu passieren. Zu dieser Zeit war er an Futter wenig interessiert und mit Leckerchen absolut nicht zu locken.

Spazieren ging er gerne und ausgiebig, vom Konditionsmangel eines Laborbeagle war nichts zu bemerken. Mit dem Menschen am anderen Ende der Leine hatte er nichts zu tun, er rannte einfach vor sich hin und zog. Er war weniger beim Spaziergang als auf der Flucht. Nie die Beaglenase am Boden, nur rennen. Langsam fing er an seine Nase dorthin zu stecken, wo die von Maxi schon war. Wahrscheinlich hat er von ihm auch gelernt, die Hundezeitung zu lesen. 
Maxi und Charly
Nach ca. 5 Wochen begann er ansatzweise, alleine durch die Terrassentür zu gehen. Er blieb davor stehen, wir warfen Leckerchen ins Wohnzimmer, schlauer Beagle, er holte die Leckerchen nur, wenn wir weit genug weg gingen und sofort war er wieder raus. Manchmal dauerte es einige Minuten, manchmal eine Stunde, bis er nach drinnen kam.
Als er mich bei meiner Rückkehr von der Arbeit zum ersten Mal wedelnd begrüßte, war meine Begeisterung grenzenlos.

Februar – Mai 2003

Die Fort- und Rückschritte wechselten ab, oft schien es ein Rückfall um Wochen. Es ging langsam voran, aber wir freuten uns über die kleinsten Schritte, die er auf dem Weg in ein normales Leben machte.

Charlys absolute Bezugsperson war Maxi. Viel später erst wurde mir klar, dass er tatsächlich genau zuschaute, was Maxi machte. Wenn er vor etwas Angst hatte, klebte er an ihm, manchmal versteckte er sich hinter ihm. Wir hatten darauf vertraut, dass Maxi ihn zumindest akzeptieren würde. Niemals hatten wir zu hoffen gewagt, dass unser alter Sturkopf, der mit anderen Hunden nie was am Hut hatte, sich von Charly in die Rolle des großen Bruders drängen ließ und diesen Job (meistens) mit Engelsgeduld erledigte.
Jede Form von Unregelmäßigkeit versetzte Charly aber immer noch in Panik. Scheinbar unwesentliche Abweichungen vom Alltag oder kleinste Veränderungen seiner gewohnten Umgebung beunruhigten ihn.

Wendlandtreffen

Das dreitägige Wendlandtreffen der Beaglefreunde-Mailingliste im Mai 2003 brachte eine erstaunliche Wende. Er lief munter mit der Beaglemeute auf dem großen Grundstück des Seminarhofes, er kam zu mir wenn ich ihn rief.
Charly hinten rechts beim Wendlandtreffen 2003
Zum ersten Mal merkte ich, dass eine Beziehung zu mir bestand. Noch kürzlich erzählte eine Beaglefreundin, die ich dort kennen gelernt hatte, sie höre mich noch sagen „Das ist nicht mein Hund“.

Nun war es auch möglich eine Hundeschule zu besuchen. Wir belegten einen Fit&Fun-Kurs, Übungen über kleine Agility-Hindernisse, nur zum Spaß ohne sportlichen Anspruch.
Die Trainerin stellte Charly eine Bachblütenmischung zusammen. Damals hatte ich gewisse Zweifel an diesem „Hokuspokus“. Aber nach einigen Wochen setzte eine merkliche Veränderung ein. Charly nahm mehr Anteil an seiner Umgebung, man hatte den Eindruck, dass er jetzt erst wirklich beginnt, die Welt mit offenen Augen zu sehen, er entwickelte Freude am Leben.

2. Halbjahr

Im Juli traute ich mich – nach ausgiebigem Schleppleinentraining - ihn erstmals von der Leine zu lassen. Meine Ängste erwiesen sich als überflüssig, anfangs wich er mir nicht von der Seite, scheinbar hatte er mehr Sorge mich zu verlieren als umgekehrt. Bestenfalls heftete er sich noch an Maxis Fersen.
Mit der Zeit entwickelte er beagletypische Eigenschaften, eiliger Schritt, Nase am Boden, Ohren auf Durchzug. Aber zum Glück – er hat keinen Jagdtrieb.

Charly brauchte ein halbes Jahr bis er – zumindest zeitweise – begann sein neues Leben zu genießen, nach einem Jahr begann seine Entwicklung zu einem richtigen Beagle.
 
Im Garten Kauknochen zerlegen

Entwicklung

Im April 2005 starb Maxi. Charly trauerte mit uns und es wurde schnell klar, ein Leben als Einzelhund machte ihn unglücklich.

Maxi war Stephanies Hund, die beiden waren ein Dreamteam. Auch ihr fehlte nun ein eigener Hund, da Charly sehr auf mich fixiert ist. So machten wir uns auf die Suche nach einem neuen vierbeinigen Freund für Stephanie und einem Kumpel für Charly. Ein Welpe kam nicht in Frage, da wir befürchteten, dass Charly seine Unsicherheit auf ihn übertragen könnte. Ein erwachsener, wesensfester Hund, der Charly Halt und Sicherheit geben kann, das war unsere Vorstellung.

Bei so viel Planung sind Überraschungen ausgeschlossen: Am 16. Juni 2005 zog Kimi ein, 12 Wochen alter English Springer Spaniel.

Mit dem Einzug von Kimi entwickelte Charly ganz unerwartet neues Selbstbewusstsein. Der kleine Frechdachs Kimi, der bei Verteilung von Durchsetzungsvermögen drei Mal laut “Hier” geschrien haben muss, machte sich in „seinem“ Haus sehr breit. Ich befürchtete, regulierend eingreifen zu müssen, aber zu meinem großen Erstaunen nahm Charly sich der Sache selbst an. Offenbar hat Charly das so viel Auftrieb gegeben, dass er nun in vielen Situationen mutiger geworden ist.
Die ersten Wochen mit Kimi im Sommer  2005

Und wieder ist festzustellen, Charly lernt fast nur von anderen Hunden. Er schaut Kimi sehr viel ab, leider auch einige Unarten. Früher konnte man Essbares stehen lassen, Charly hat ohne Aufforderung nichts genommen. Mittlerweile steht er sogar mit den Pfoten auf der Küchenarbeitsplatte. Vorher war das sicher nicht seine gute Erziehung, er hätte es sich einfach nicht getraut. Seit Kimis Einzug hat Charly noch einmal einen großen Schritt nach vorne gemacht. Von seinen früheren Ängsten ist kaum mehr etwas geblieben, er ist munter, manchmal sogar selbstbewusst bis frech. Kimi hat ein sehr „einnehmendes“ Wesen. Was wir niemals für möglich gehalten hätten, Charly setzte ihm Grenzen, leise und zurückhaltend wie immer, jedoch eindeutig. Andererseits darf kein anderer Hund gegen Kimi frech werden, dann verteidigt Charly laut knurrend und bellend seinen „Kleinen“. Nun ist Kimi schon über drei Jahre hier und wir sind sicher, dass unsere Entscheidung für ihn ein absoluter Glücksgriff für Charly war (nicht nur für ihn).

Wilde Spiele

Alles ist möglich, wenn man ausreichend Zeit und Geduld hat. Niemals sollte man Druck ausüben. Diese Erziehungsmethoden gehören ohnehin der Vergangenheit an. Vertrauen aufbauen bedarf der immer wiederkehrenden Erfahrung, dass Vertrauen gerechtfertigt ist und nicht enttäuscht wird. Wir haben Charly langsam und schrittweise an für ihn beängstigende Situationen herangeführt. Unbekanntes betrachtet er gelegentlich noch zunächst mit Vorsicht, aber selten mit Angst.